Nach mittlerweile vier Nordinsel-Urlauben soll es diesmal mit der ganzen Family ans East Cape gehen. Diese extrem dünn besiedelte Region Neuseelands wird von den meisten Touristen in der Regel gemieden, da sich keine offensichtlichen Tourismus-Hotspots dort befinden. So fuhren auch wir bisher immer am Weg von Nord nach Süd oder umgekehrt über die Vulkanroute Tauranga-Rototua-Taupo-Napier daran vorbei. Da wir dieses Mal ein ganzes Jahr in Neuseeland verbringen dürfen und es in den neuseeländischen Herbstferien Mitte April in unserer einjährigen Wahlheimat Motueka (Südinsel) bereits empfindlich kühler geworden ist, zieht es uns ins Eastland im noch etwas wärmeren Norden. Für Mineralienbegeisterte wie mich soll es dort an der Hicks Bay, unweit des East-Capes, auch Achate am Strand zu finden geben.
Nach der mittlerweile zur Routine gewordenen Cook Strait Überfahrt zur Nordinsel mit Übernachtung in Masterton und Abstechern zum Cape Palliser und Castle Point machen wir uns auf den Weg zu Neuseelands Ort mit dem längsten Namen. Die Fahrt dorthin empfinden die Kinder durch die vielen Kurven anstrengender als jede Schifffahrt auf offener See zuvor. Irgendwie hatten wir alle so etwas wie ein Dorf erwartet und sind entsprechend enttäuscht, dass da nur eine ewig lange Namenstafel mitten im Nirgendwo am Straßenrand steht. Aber gut, weiter geht’s auf den Spuren des neuseeländischen Architekten John Scott nach Napier, wo wir schließlich übernachten.
Regen hat sich eingestellt und die Vorschau für die kommenden Tage ist alles andere als optimal. Die nächsten 3 Tage soll’s regnen. Beim Auschecken des Motels in Napier fragt der Manager: „Where’re you heading today?“. „Te Urewera National Park, we’ve never been there.“ antworte ich und er grinst zurück: „Most New Zealanders have never been there!“. In der Tat, Neuseelands größer Native Forest liegt dermaßen abseits, dass sich kaum jemand dorthin verirrt. Dazu kommt, dass es keine größere Stadt in der Nähe gibt, so dass man entweder von Napier oder von Gisborne mehrere Stunden hin fährt, einen guten Teil davon auf einer Schotterstraße. Einzige Alternative: Übernachtung in Wairoa, einem kleinen Dorf in der Mitte des Wegs, das nur dummerweise lediglich über zwei Motels verfügt, die beide nicht wirklich empfehlenswert sind. Da wir mit den Kindern nicht zu lange fahren wollen, checken wir beim ersten der Motels ein.
Der Te Urewera National Park wird ein Ganztagesausflug. Mehrere sehenswerte Wasserfälle in „Short-Walk“ Reichweite begeistern unsere Kleinen und wir stellen fest, dass auch eine Wanderung mit leichtem Nieselregen im Bush erfüllend sein kann. Ein halbstündiger Walk zu einem 800 – 1000 Jahre alten, beeindruckenden Rata-Baum rundet den Tag schließlich ab.
Nachdem wir am nächsten Tag auch das zweite nicht-ganz-so-tolle Motel in Wairoa ausführlich getestet hinter uns lassen, führt unsere Eastland-Reise nach Gisborne und wir stellen fest, der Osten Neuseelands ist sehr stark von Maori geprägt. Nirgends sonst, außer vielleicht in Rotorua, sehen wir so viele Maori auf den Straßen und wir stellen uns vor, wie wohl das ganze Land heute aussehen würde, wäre James Cook und seine Kollegen nicht vor rund 200 Jahren hier angekommen.
Da der Regen noch nicht nachlassen will, bleiben wir zwei Tage in Gisborne. Außer einer Runde Minigolf und einem Besuch des Technology Museums hat die relativ große Stadt leider nicht sehr viele Schlechtwetterattraktionen zu bieten. Auch die Giant-Pumpkin-Competition fällt leider, sehr zu Ungunsten der Kinder, wetterbedingt aus.
Mit einer tollen Eastland-Broschüre der i-Site bewaffnet, starten wir also unsere Erkundungsfahrt in unbekanntes Terrain. Ab Gisborne verändert sich die Landschaft deutlich. Es ist weit weniger gebirgig als wir es uns vorgestellt hatten und der Highway ist auch einigermaßen „schnell“ im Vergleich zu so manchen anderen Routen durch Hügelland.
Es ist kurz nach elf und wir erreichen unser erstes Tagesziel: Neuseelands längste Pier (660m) in der Tolaga Bay. Es regnet. Immer noch. Smartphone und mobiles Internet sei Dank, checken wir die genaue Wettervorschau für diese Region: Um spätestens 14 Uhr soll’s endgültig trocken werden und eine Schönwetterperiode beginnen. Okay, also abwarten. Da sitzen wir vier, im Auto vor der Pier, und wagen es nicht auszusteigen, da wir weder Regenmäntel noch Schirme eingepackt haben. Nach beinahe drei Stunden im Auto, sämtliche Essensvorräte sind aufgebraucht, alle Reisemagazine sind gelesen, das Ein-Mal-Eins mehrfach trainiert und alle autotauglichen Spiele ausgespielt, hört es tatsächlich wie vorhergesagt auf zu Regnen und es kommt instant die Sonne heraus. Das Warten wird belohnt: Die historische Pier glänzt nass im scharfen Licht und die Regenfront zieht dunkel über dem hellen Meer ab.
Keine 100 m entfernt beginnt ein Walk zu Cook’s Cove, dem wir bis zum Lookout am Gipfel des Hügels folgen. Die Aussicht ist schlichtweg sensationell, doch wir müssen weiter, um noch die anderen Sehenswürdigkeiten auf dem Weg nach Te Araroa vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen. Mittlerweile wird es schon um 18 Uhr dunkel, der Winter kommt. Auch wenn man ihn bei 20-22° am Tag nicht wirklich wahrnimmt.
„Be the first to see the new day“ heißt es im Prospekt. Am Eastcape sieht man als einer der ersten der Welt den Sonnenaufgang. Na, wer will das nicht zumindest einmal erlebt haben? Unser Aufenthalt in einem der schlichten Motel-Zimmer am Campingplatz Te Araroa wird daher auf ein Minimum reduziert und wir fahren um halb 6 Uhr morgens zielstrebig Richtung East Cape Lighthouse, von wo aus wir den Sonnenaufgang sehen wollen. Einen halben Kilometer vor dem Parkplatz: „STOPP! Die Sonne kommt gleich raus, schnell ein paar Fotos vom Morgenrot machen!“. Beim Parkplatz dann die Ernüchterung: 500 Stufen bis zum Leuchtturm, und diese ausgerechnet auf der sonnenabgewandten Seite im Schatten. „Das geht sich nie aus!“ Also wieder zurück ins Auto, halber Kilometer retour zu dem Platz an dem wir auch schon vorhin die Fotos gemacht hatten. Toller Sonnenaufgang, wenn auch ein wenig versteckt hinter Wolken am Horizont. Ein paar Minuten später wieder zurück zum Parkplatz um der tollen Aussicht halber doch zum Leuchtturm rauf zu gehen.
Kaum haben wir das Notwendigste in den Rucksack gepackt: „Da Pfeift was, hörst du das auch?“. „Verdammt! Dem Reifen geht die Luft aus!“ – und schon ist der Tagesplan über den Haufen geworfen und eine eilige Rückfahrt nach Te Araroa beginnt. 20 km entfernt – vielleicht gibt’s dort ja eine Werkstätte. Das Dorf erreichen wir leider nicht mehr und werden vom „Platten“ dazu gezwungen, das Not-Rad mitten am Weg aufzuziehen. Immerhin ohne größere Komplikationen, mal abgesehen von dem Riesenaufwand, unseren ganzen Kofferrauminhalt temporär auszuräumen um an das Ersatzrad zu kommen.
Eine Online-Recherche ergibt: Der nächste vernünftige Reifenhändler ist in Whakatane, satte 200 km von uns entfernt. Das Üble daran: Mit einem Not-Rad darf man maximal 80 km/h fahren. Das Gute: Mehr als 60 km/h schafft man auf dieser kurvigen Straße ohnehin kaum – egal welches Auto und welche Reifen verwendet werden. Insofern – auch egal.
An der Hicks Bay legen wir noch einen Zwischenstopp ein und versuchen uns mit einem Strandspaziergang von den Strapazen des Morgens zu befreien. Unerwarteter weise finden wir doch tatsächlich ein stolzes Stück Achat, „Agate Gemstone“ auf Neuseeländisch, im Sand nicht weit von einer Flussmündung entfernt.
Im Endeffekt dauert die Fahrt nach Whakatane dann noch satte 5 Stunden, von denen wir jedoch keine Minute bereuen, da der sehenswerte Highway über weite Teile entlang der Küste führt. Doch spätestens jetzt sind wir nicht mehr im Eastland, sondern schon in der sagenhaft schönen Bay of Plenty, und unsere Reise Richtung Norden geht mit vier brandneuen Reifen weiter.